Gestern jährte sich der D-Day, jener sicherlich historisch bedeutende Tag, der den Anfang vom Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa markierte. Wir gedenken der tapferen alliierten Soldaten, die an den Stränden der Normandie landeten, um Europa von der Tyrannei des Nationalsozialismus zu befreien. Ihre Opferbereitschaft und ihr Mut verdienen unseren ewigen Dank und höchsten Respekt.
Doch inmitten des Gedenkens an die Befreier und den Sieg über die Tyrannei möchte ich einen Gedanken teilen, der oft verschwiegen wird oder Unbehagen hervorruft, aber für eine vollständige und menschliche Geschichtsbetrachtung unerlässlich ist. Es geht um die deutschen Soldaten jener Zeit.
Meine eigene Gefühlswelt ist an Tagen wie diesen von einer tiefen Zwiespältigkeit geprägt. Auf der einen Seite steht die unermessliche Erleichterung und tiefe Dankbarkeit, dass das verbrecherische NS-Regime gestürzt wurde und seine Gräueltaten ein Ende fanden. Der Sieg der Alliierten war ein Sieg der Menschlichkeit über Barbarei, auch wenn diese Unmenschlichkeit, bedingt durch das Agieren der ausländischen Soldaten und Politiker, weit über das Jahr 1945 zeitlich hinaus gingt
Auf der anderen Seite steht die tiefe Trauer. Die Trauer über das unermessliche Leid und den Verlust zahlloser Menschenleben, die der Zweite Weltkrieg forderte – auf allen Seiten. Dazu gehören auch die vielen deutschen Männer, die in diesem Krieg kämpften und fielen. Ihre tragische Situation bestand darin, dass sie einerseits in den Dienst eines verbrecherischen Regimes gepresst wurden, andererseits aber nicht selten aus dem Gefühl heraus handelten, ihre Heimat, ihre Familien und ihr eigenes Überleben verteidigen zu müssen.
Wir verurteilen das verbrecherische Regime, seine Ideologie und seine Taten aufs Schärfste. Das ist nicht verhandelbar. Aber wir müssen auch die Menschen dahinter sehen. Viele dieser jungen Männer wurden unter einem totalitären System geboren und aufgewachsen, das ihnen kaum eine andere Wahl ließ, als in seinen Reihen zu dienen. Sie wurden in Uniformen gesteckt und an Fronten geschickt, um Befehle zu befolgen, die oft die Verteidigung ihrer Heimat oder den Kampf ums nackte Überleben betrafen.
Sofern diese Soldaten nicht an Kriegsverbrechen, Gräueltaten oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt waren, sondern rein ihrer soldatischen Pflicht nachkamen, verdienen auch sie als Menschen und Soldaten Respekt.
Als Söhne, Brüder und Väter, die oft unter extremsten Bedingungen ihre Pflicht erfüllten und ihr Leben verloren. Ihr Schicksal ist Teil der Tragödie des Krieges. Dieses Prinzip der Differenzierung zwischen verbrecherischer Tat und erfüllter soldatischer Pflicht gilt universell für alle Kriegsparteien. Auch auf alliierter Seite kam es zu Kriegsverbrechen, und die Verurteilung solcher Taten ist ebenfalls vonnöten, unabhängig von der Seite des Konflikts.
Das Gedenken an den D-Day und seine Bedeutung für die Befreiung Europas schmälert nicht die Möglichkeit, auch jenen deutschen Soldaten, die als Menschen handelten und nicht als Monster, mit einem stillen Respekt zu begegnen. Sie waren auch Opfer eines Systems, das sie in einen sinnlosen Krieg trieb.
Die Geschichte muss in ihrer vollen, oft schmerzhaften Komplexität erfasst werden, die Opfer auf allen Seiten betrauert werden und aus der Historie ist zu lernen: Für eine Zukunft, in der solche Gräuel und Kriege nie wieder geschehen dürfen, und in der die Menschlichkeit stets über Ideologie und Hass triumphiert.
Beim Verfassen der Gedanken über die Verbindung von Geschichte, dem Lernen und der Gegenwart und Zukunft wird mir bewusst, dass mein Wunsch eine Utopie ist.