Die Tortur beginnt

Es war ein ganz normaler Kommentar unter einem Beitrag auf Facebook. Ich hatte, höflich wie man es eigentlich erwarten dürfte, um einen Nachweis gebeten.

Keine Provokation, kein Spott, kein Angriff – nur eine einfache, klassische Nachfrage: „Könnten Sie das bitte belegen?“ Ein Satz wie aus dem ersten Semester wissenschaftlichen Arbeitens.

Doch was dann geschah, war ein kleines Meisterwerk moderner Internetdramaturgie:

Binnen Minuten wurde aus dem neutralen Fragesteller der Störenfried vom Dienst, der bad boy der Kommentarspalte, der mit seinem unverschämten Bedürfnis nach Belegen das fein gespannte Netz der Wohlfühlaussagen zerriss. Nicht etwa derjenige, der die Behauptung aufgestellt hatte, wurde zur Rechenschaft gezogen – nein, es war meine Nachfrage, die den Alarm auslöste.

Von da an war der Verlauf vorhersehbar wie ein zweitklassiger Fernsehkrimi: Wer nachfragt, ist verdächtig. Wer nicht gleich in den Chor der Zustimmung einstimmt, muss wohl irgendein „anderer“ sein – ein Nestbeschmutzer, ein Spielverderber oder noch schlimmer: jemand mit einem eigenen Kopf. Und so kam es, wie es kommen musste:

Die Floskeln flogen mir unterbewusst um die Ohren.

„Das sagt ja alles über dich!“

„Typisch!“

„Wer so fragt, hat schon verloren.“

Der Klassiker: Verteidigen musst du dich, erklären darfst du nichts – und am besten schweigst du gleich ganz.

Besonders nachdenklich gemacht hat mich ein Satz meiner Frau, den ich hier – ohne sie namentlich zu erwähnen – gern wiedergebe.

Sie sagte:

„Es lohnt sich nicht, bei der Staatsanwaltschaft nachzuhaken. Wenn Du ein anderer wärst – sagen wir mal ein AfD-Mann – dann würden die wahrscheinlich reagieren.“

Es war kein zynischer Kommentar, sondern eine nüchterne Analyse. Und ja – sie hat wohl recht. Das ist nicht nur traurig, das ist auch ein beunruhigender Befund über den Zustand unseres Rechtsverständnisses.

Denn was bleibt am Ende? Eine Gesellschaft, in der der Ruf nicht durch das Handeln, sondern durch das Hinterfragen gefährdet wird. Eine digitale Öffentlichkeit, in der der, der stört, schneller fällt als der, der Unsinn verbreitet. Und eine Justiz, die sich manchmal sehr genau anschaut, wen sie verteidigt – und bei anderen lieber wegschaut.

Ich für meinen Teil bleibe dabei:

Wer etwas behauptet, sollte es auch belegen können.Und wer Angst vor Nachfragen hat, sollte sich vielleicht überlegen, ob er in einem demokratischen Diskurs überhaupt etwas verloren hat