Manchmal sitze ich da und frage mich, wie ich politisch sauber und mit einem klaren Kopf urteilen kann. Immer wieder merke ich, wie stark die öffentliche Reaktion davon abhängt, wer etwas gesagt hat – und nicht allein davon, was gesagt wurde. Und dann frage ich mich, ob ich für mich selbst einen anderen Maßstab anlegen kann. Ob ich in der Lage bin, meine Bewertung so weit wie möglich frei zu halten von Sympathien, Abneigungen oder reflexhaften Einschätzungen.
Ich versuche es. Leicht ist das nicht.
Ich frage mich häufig, ob ich wirklich den Satz bewerte oder doch die Person dahinter. Eigentlich möchte ich immer rational bleiben: zuerst der Wortlaut, dann die Bedeutung, erst danach alle Umstände. Das wäre fair und respektvoll. In einem juristischen Zusammenhang wäre es auch zwingend richtig, denn dort zählt der Satz in seiner isolierten Form, nicht die vermutete Absicht dahinter. Die politische Welt allerdings hält sich nicht an solche klaren Strukturen.
Wenn ich beobachte, wie über Aussagen von Politikern gesprochen wird, fällt mir auf, dass identische Worte oft unterschiedlich bewertet werden – abhängig davon, aus welcher politischen Richtung sie stammen. Ein Politiker aus einem etablierten Lager sagt etwas Missverständliches und bekommt eher Wohlwollen. Ein Politiker aus der AfD sagt denselben Satz, und sofort sind alle Alarmzeichen an. Natürlich gibt es dafür Gründe. Erfahrungen prägen Erwartungen, Muster wiederholen sich, und wer häufig an sprachlichen oder historischen Grenzen entlangargumentiert, der verliert Vertrauen. Dennoch bleibt die Frage bestehen, ob ein Satz nicht zuerst nach seinem Inhalt beurteilt werden sollte.
„Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat. Das kann nicht sein! Eine wirklich erinnerungspolitische Wende um 180 Grad wollen wir.
Bjoern Hoecke
Dann frage ich mich, ob ich naiv bin, wenn ich ausschließlich das Gesagte bewerten möchte. Vielleicht sehe ich es zu rational, zu technisch, zu sehr wie jemand, der gewohnt ist, Inhalte sauber zu sortieren und zu klassifizieren. Doch wenn ich es nicht so mache, wenn ich zuerst den Sprecher und nicht die Aussage bewerte, dann öffne ich die Tür für Verzerrungen. Dann lasse ich zu, dass meine eigene Interpretation von Sympathie oder Ablehnung geleitet wird. Und das möchte ich nicht. Denn damit würde ich selbst eine Methode anwenden, die ich an anderer Stelle kritisiere.
Gleichzeitig weiß ich, dass Kontext keine Täuschung ist, sondern Information. Er darf nicht die Hauptrolle bei der Interpretation spielen, aber er darf auch nicht ignoriert werden. Die Frage ist nicht, ob Kontext relevant ist, sondern in welcher Reihenfolge ich ihn berücksichtige. Für mich bedeutet das: Zuerst der Satz, dann die Analyse, ob er eindeutig oder mehrdeutig ist, und erst anschließend der Blick auf das Umfeld des Sprechers.
So bleibt das Pendel stabil. Es schlägt weder blind gegen jemanden aus, nur weil er einer bestimmten Partei angehört, noch schwingt es unkritisch von einer Position zur anderen. Es geht darum, die eigene Bewertungsgrundlage sauber zu halten und nicht in reflexhafte Urteilsschemata zu verfallen.
Fairness bedeutet für mich nicht, jeden Politiker zu mögen oder jede Aussage zu entschärfen. Fairness bedeutet, jeder Formulierung dieselbe Chance zu geben, bevor ich sie bewerte. Es bedeutet, nicht nach Partei, sondern nach Inhalt zu urteilen. Und es bedeutet, mich weder von äußerer Empörung leiten zu lassen, noch von persönlicher Abneigung. Genau dieser Anspruch an mich selbst macht solche inneren Diskussionen notwendig – und auch wertvoll.
