Der katholische Sozialverband Kolping hat beschlossen, Mitglieder der AfD künftig pauschal auszuschließen. Begründet wird das mit „Unvereinbarkeit der Werte“ und dem Anspruch, ein klares Zeichen gegen Hass und Hetze zu setzen. Auf den ersten Blick klingt das nach einer entschlossenen, moralisch sauberen Haltung. Schaut man genauer hin, zeigt sich allerdings eine sehr problematische Entwicklung.

Es findet eine problematische Verschiebung der Maßstäbe statt: Maßgeblich ist nicht mehr, ob jemand durch konkrete Handlungen gegen Strafgesetze oder eindeutig festgelegte Verbandsregeln verstoßen hat. Entscheidend wird allein das Parteibuch – und damit rückt die bloße politische Zugehörigkeit in den Fokus der Sanktion, wie es typisch für illiberale, autoritäre Systeme ist. Wer Mitglied einer legalen Partei ist, soll plötzlich nicht mehr Teil einer christlichen Gemeinschaft sein dürfen, ganz ohne individuell nachgewiesenes Fehlverhalten.

Damit verwandelt sich ein eigentlich sozialer, christlich geprägter Verband in eine Art Gesinnungsfilter. Nicht mehr das, was jemand tut, steht im Mittelpunkt, sondern das, was jemand denkt oder welche Partei er wählt. Wer von der vorherrschenden politischen Meinung abweicht, wird moralisch abqualifiziert. Genau dieses Muster kennt man aus den dunkelsten Kapiteln deutscher Geschichte: Wer nicht mit der Masse marschiert, gilt als „böser Mensch“ und wird sozial isoliert. Das ist das Gegenteil eines reifen demokratischen Umgangs mit Pluralismus.

Hinzu kommt der Gruppendruck. Der Beschluss wird öffentlich als „Brandmauer“ und „klares Bekenntnis zur Demokratie“ gefeiert. Wer es wagt, diese Logik zu hinterfragen, landet schnell in der Ecke der „Verdächtigen“. Viele passen sich dann lieber an, um nicht Freundeskreis, Ehrenamt oder Ansehen zu riskieren. So entsteht ein Klima, in dem Konformität belohnt und Abweichung bestraft wird – ganz ohne, dass es dafür eines Gesetzes bedarf. Die soziale Ächtung erledigt den Rest.

Besonders zynisch wirkt das alles, wenn man die Realität innerhalb der katholischen Kirche betrachtet. Dieselbe Institution, die jetzt mit großer Geste die „Unvereinbarkeit“ von AfD-Mitgliedschaft und christlichen Werten verkündet, trägt eine jahrzehntelange Geschichte massiver Gewalt gegen Kinder mit sich herum. Weltweit und auch in Deutschland sind Tausende Fälle sexuellen und körperlichen Missbrauchs dokumentiert worden, begangen von Klerikern, die sich offiziell dem Schutz der Schwächsten verschrieben hatten. Die Aufarbeitung ist bis heute unvollständig, viele Betroffene fühlen sich im Stich gelassen.

Angesichts solcher Verbrechen ist es mehr als nachvollziehbar, wenn manche diese Täter nicht mehr als Menschen, sondern als Monster bezeichnen. Wer Kinder missbraucht, sie quält und systematisch ausliefert, verlässt jeden Rahmen moralisch fassbarer Normalität. Und genau hier wird die Doppelzüngigkeit deutlich: Eine Institution, die ihre eigenen „Monster“ über Jahrzehnte gedeckt oder verharmlost hat, spielt sich nun als moralische Instanz auf und erklärt einfache Ehrenamtliche für untragbar, nur weil diese eine bestimmte – legale – Partei gewählt haben.

Wenn man die Logik der „Unvereinbarkeit von Werten“ ernst nähme, müsste die Konsequenz doch eine ganz andere sein. Dann müsste man fragen, ob nicht die Kirche selbst als Organisation sanktioniert gehören müsste: durch harte strafrechtliche Verfolgung jeder einzelnen Tat, vollständige Transparenz, den entschlossenen Entzug öffentlicher Privilegien und eine radikale Selbstbeschränkung, bevor sie überhaupt wieder den moralischen Zeigefinger hebt. Stattdessen wird nach außen demonstrativ Härte gegenüber Menschen gezeigt, deren einziges „Vergehen“ eine unerwünschte Parteimitgliedschaft ist.

Demokratie heißt nicht, nur die Meinungen zu dulden, die dem eigenen Geschmack entsprechen. Demokratie heißt, auch politische Positionen zu ertragen, die einem gegen den Strich gehen – solange sie sich im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen. Wer anfängt, Menschen wegen ihrer Gesinnung aus Vereinen, Verbänden oder Gemeinschaften auszusortieren, baut keine Brandmauer gegen Extremismus, sondern sägt an den Fundamenten offener Gesellschaften.

Der Beschluss von Kolping mag moralisch aufgeladen daherkommen, tatsächlich aber transportiert er eine alte, gefährliche Botschaft: „Sei wie wir – oder du gehörst nicht mehr dazu.“ Und genau diese Haltung ist es, die eine Gesellschaft langsam, aber sicher in Richtung Intoleranz und Autoritarismus schiebt.