Warum der Begriff „Drittes Reich“ historisch falsch ist
Der Ausdruck „Drittes Reich“ ist ein fester Bestandteil vieler Schulbücher, Fernsehdokumentationen und Alltagsgespräche. Doch so eingängig er auch klingen mag – bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der Begriff als irreführend, ideologisch belastet und historisch mehr als fragwürdig. Wer ihn unkritisch verwendet, übernimmt ein Geschichtsbild, das zentrale Phasen der deutschen Geschichte entweder verzerrt darstellt oder ganz unterschlägt – etwa den Deutschen Bund oder die Weimarer Republik.
Drei Reiche – eine fragwürdige Abfolge
Die gängige Vorstellung:
- Das „Erste Reich“ war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (962–1806),
- das „Zweite Reich“ das Deutsche Kaiserreich (1871–1918),
- und das „Dritte Reich“ die NS-Diktatur (1933–1945).
Diese Abfolge klingt zunächst plausibel, ist aber bei näherer Betrachtung nicht mehr als ein grobes Konstrukt. Zwischen diesen vermeintlichen „Reichen“ lagen Staatsformen, Übergangszeiten und politische Realitäten, die schlicht nicht in diese Zählung passen – aber dennoch Teil der Geschichte sind.
Der oft vergessene Deutsche Bund (1815–1866)
Nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches und der Niederlage Napoleons wurde 1815 der Deutsche Bund gegründet – ein loser Zusammenschluss souveräner deutscher Staaten. Kein Nationalstaat, keine zentrale Regierung, aber doch ein gemeinsamer Rahmen, in dem man sich regelmäßig traf: in der Bundesversammlung in Frankfurt am Main.
Den Vorsitz hatte dort der österreichische Gesandte – allerdings ohne echte Machtfülle. Österreich hatte also eine herausgehobene Rolle, aber keine Führungsgewalt. Es ging eher um Koordination als um Kommandos. Tatsächlich lieferten sich Preußen und Österreich in dieser Phase ein politisches Kräftemessen, das schließlich im Deutschen Krieg 1866 endete – und mit ihm auch der Bund. Der Deutsche Bund war keine Nebensache: Er prägte die Entwicklung der deutschen Staatenwelt, brachte Debatten über Einheit und Verfassung in Gang und ist alles andere als ein Lückenfüller zwischen zwei Reichen.
Die Weimarer Republik: ein oft übergangener Staat
Auch die Weimarer Republik (1919–1933) fällt in der „Drei-Reiche-Logik“ hinten runter. Dabei trug auch sie den Namen „Deutsches Reich“ – allerdings in republikanischer, demokratischer Form. Dass sie in der populären Vorstellung übersprungen wird, liegt wohl daran, dass sie nicht ins imperiale Schema passt: zu demokratisch, zu instabil, zu unbequem. Doch gerade ihre Geschichte ist für das Verständnis der deutschen Staatsentwicklung zentral.
Woher stammt der Begriff „Drittes Reich“ eigentlich?
Die Idee vom „Dritten Reich“ stammt von Arthur Moeller van den Bruck, der 1923 ein gleichnamiges Buch veröffentlichte. Darin entwarf er ein völkisch-nationales Wunschbild: Nach dem Heiligen Römischen Reich (das erste) und dem Kaiserreich (das zweite) sollte nun das „dritte“ folgen – stark, autoritär, national. Diese Idee war von Anfang an keine sachliche Beschreibung, sondern eine politische Vision.
Die Nationalsozialisten griffen den Begriff begeistert auf. Er half ihnen, ihre Diktatur als vermeintliche Vollendung deutscher Geschichte zu inszenieren. Der Begriff war also ein Propagandawerkzeug – und ist es, in gewisser Weise, bis heute geblieben.
Warum die ganze Zählung historisch nicht trägt
Auch juristisch betrachtet, hinkt das Modell der drei Reiche:
- Von 1871 bis 1945 hieß der Staat durchgängig „Deutsches Reich“ – unabhängig davon, ob Monarchie, Demokratie oder Diktatur.
- Weder das Kaiserreich noch das NS-Regime waren neue Staatsgründungen. Es handelte sich um politische Systeme innerhalb ein und desselben Völkerrechtssubjekts.
- Der Begriff „Reich“ ist kein klar definierter Rechtsbegriff, sondern wurde je nach Zeit und Zweck unterschiedlich verwendet.
Warum es mehr schadet als nützt
Die Einteilung in ein erstes, zweites und drittes Reich ist keine neutrale Beschreibung, sondern eine ideologisch gefärbte Konstruktion. Sie suggeriert eine Entwicklungslinie, die es so nie gab. Und sie blendet wichtige Kapitel aus – darunter nicht nur die Weimarer Republik, sondern eben auch den Deutschen Bund.
Geschichte ist komplexer als ein Dreiklang
Der Begriff „Drittes Reich“ ist nicht nur problematisch wegen seiner ideologischen Herkunft – er ist auch schlicht sachlich falsch. Wer ihn heute verwendet, sollte das bewusst und kritisch tun – oder besser auf ihn verzichten.
Denn Geschichte ist kein klar gegliedertes Regal mit nummerierten Fächern. Sie ist vielschichtig, widersprüchlich und lässt sich nicht in eine einfache Zahlenreihe pressen. Wer sie wirklich verstehen will, muss auch die Zwischentöne hören.