Flaggen, Fahnen und die Kunst, sich wichtig zu nehmen

Was als nüchterne Feststellung gemeint war, entpuppte sich – jedenfalls für manche – als ein Angriff biblischen Ausmaßes. Kaum waren die Worte ausgesprochen, platzten in den Empörungsredaktionen sämtliche Sicherungen. Die Regenbogenflagge! Nicht respektiert! Stoff gewordene Vielfalt beleidigt! Der Aufschrei war ohrenbetäubend. Man hätte meinen können, Merz habe das Grundgesetz mit Kaffeeflecken beschmiert.

Es gibt Sätze, die sind so harmlos, dass man sie früher gar nicht bemerkt hätte. Und dann gibt es Friedrich Merz, der einfach mal sagt:
„Der Bundestag ist kein Zirkuszelt.“

Man darf sich das bildlich vorstellen:
Ein mittelalter Mann stellt fest, dass im Bundestag keine Karnevalsflaggen wehen sollten – und halb Berlin-Mitte fällt ohnmächtig in den Soja-Cappuccino. Die einen sehen darin sofort einen Anschlag auf Minderheitenrechte, die anderen vermuten, dass jetzt wohl wieder „die dunklen Zeiten“ anbrechen. Selbst der Zirkus Charles Knie meldete sich zu Wort – mit echtem Zelt und echter Regenbogenflagge.
Na dann: Manege frei für die symbolische Rebellion.

Besonders schön war auch die Reaktion der SPD: Mit schief gelegtem Kopf und zitternder Stimme erklärten ihre Vertreter, dass die Aussage von Merz „verletzend“ sei. Für wen genau? Nun ja – für alle natürlich! Wer heute nicht mindestens drei Empörungsschubladen gleichzeitig aufmacht, gilt schließlich schon als Gefühlsdiktator.

Und da liegt das Problem.
Denn es geht gar nicht mehr um Argumente, sondern ums Gefühl. Um Haltung. Um symbolische Ergriffenheit bei jeder Gelegenheit. Der Bundestag soll nicht mehr nur Ort der Gesetzgebung sein, sondern Bühne für Betroffenheitstheater. Und wehe, jemand schlägt vor, dass dort nur staatliche Symbole hängen sollten. Dann ist man schneller „ausgrenzend“ als man „neutraler Rechtsstaat“ sagen kann.

Dabei hatte Merz recht.
Ein Parlament, das sich täglich neu beflaggt, je nach Stimmungslage – das ist kein Ausdruck von Weltoffenheit. Das ist Symbolpolitik am Rande der Selbstverleugnung. Wer alle Farben gleichzeitig hisst, hat am Ende keine erkennbare Linie mehr. Und genau das, so viel Ironie muss sein, ist offenbar das politische Ziel vieler Akteure.

Der Bundestag ist tatsächlich kein Zirkuszelt.
Aber das Verhalten mancher Abgeordneter lässt daran zweifeln, ob sie es überhaupt merken würden, wenn sie längst in einem sitzen.